Heute ist es nun soweit, vor 25 Jahren passierte das, was viele für unmöglich gehalten hatten: Die Grenzen zwischen der DDR und der BRD fielen – die Mauer wurde geöffnet.
Ich war zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt und lebte am Rande Berlin im sogenannten Grenzgebiet, noch ein Kind, aber trotzdem kann ich mich tatsächlich an diese Tage im November 1989 erinnern, vor allem an das Wochenende nach der Öffnung.
Der 9. November war ein Donnerstag. Abends gingen meine jüngere Schwester und ich wie immer schlafen, am nächsten Morgen war ja wieder Schule. Von den Nachrichten am Abend bekamen wir nichts mit. Erst am nächsten Morgen erzählten uns unsere Eltern emotional ergriffen, dass die Grenzen offen sind. In den Monaten vorher hatten wir oft Nachrichten geschaut und so von den Ereignissen in Prag und Ungarn mitbekommen. Beim Abendessen redeten meine Eltern oft darüber, versuchten uns Kinder aber vor ihren Ängsten (denn niemand wußte wie es ausgehen würde) fernzuhalten. Trotzdem merkte selbst ich mit meinen 10 Jahren, dass hier etwas geschah. Es schwebte über allem – heute würde ich sagen es war Hoffnung, aber natürlich auch Angst.
Beim Frühstück am 10. November hörten wir Radio, gingen dann aber wie immer zur Schule. Einige Mitschüler fehlten. Unsere Lehrerin verlor allerdings kein Wort über die Ereignisse. Doch überall sprach man darüber und noch immer lag eine Ungläubigkeit in der Luft, sollte es tatsächlich so bleiben oder würde es wieder rückgängig gemacht.
Auch Samstag, den 11. November 1989, hatten wir wieder Schule und gingen auch hin, allerdings holten uns unsere Eltern unerwartet nach der 1. Stunde wieder ab. Hatten sie sich am Freitag noch nicht getraut, fuhren wir mit unserem weißen Trabi nach Berlin zu unseren dort Lebenden Verwandten. Es lag Spannung in der Luft. Ich glaube die Sonne schien, es war nicht zu kalt. Am Grenzübergang angekommen konnten wir unseren Augen kaum glauben und noch heute sind meine Erinnerungen wie im Filmmodus. Es war Stau und vor uns standen viele Autos mit DDR Kennzeichen, um uns herum hunderte Menschen. Sie klopften auf unseren Trabi, jubelten, weinten. Wir kurbelten unsere Fensterscheiben runter und bekamen Eis und Süßes hingeworfen. Ich war überwältigt und freute mich wahnsinnig über mein erstes „West“-Eis.
Nach gefühlten Stunden kamen wir endlich bei unseren Verwandten an. Diese luden uns zu ihrem griechischen Lieblings-Restaurant ein. Danach ging es in die Innenstadt zum Shoppen. Unfaßbar viele Menschen waren auf den Straßen. Und ich werde wohl nie diese Schaufenster vergessen und die tausend tollen Dinge, die ich am liebsten alle haben wollte. Wir bekamen jeder einen Mickey-Maus-Rucksack, der gleichzeitig ein Plüschtier war. Ich war so stolz und er begleitete mich noch einige Jahre. Die erste größere Anschaffung unserer Eltern war (wie so oft) ein Fernseher mit Fernbedienung – wow wie großartig nicht mehr jedes Mal Aufstehen zu müssen, wenn man den Sender wechseln wollte.
Meine Kindheit in der DDR war bis dahin glücklich (und blieb es auch nach dem Mauerfall) und nur am Rande spürte ich, dass es Ungerechtigkeit gab und ich bestimmte Dinge in der Schule nicht erzählen dürfte. Natürlich erinnere ich mich an Lebensmittelknappheit und das Anstehen nach Bananen und Orangen, dass es kaum Blumen gab und mein Vater sich wie verrückt freute, dass er meiner Mutter zu ihrem 30. Geburtstag einen großen Strauß Rosen schenken konnte, den er nur bekam, weil er im Blumengeschäft jemanden kannte. Ich erinnere mich auch an den Geruch der seltenen „West“Pakete und die unglaublich leckere Schokolade oder Joghurts, die uns unsere Oma von ihren WestBerlin Besuchen mitbrachte. Nie vergessen kann ich den Duft der Intershops und das bunt aussehende „Geld“ mit dem dort bezahlt wurde. Es gab kaum was Größeres als sich dort ein Ü-Ei oder eine Schlumpf Figur aussuchen zu dürfen – selig saß ich im Auto und freute mich über diese Kleinigkeiten. (Mit den gesammelten Schlümpfen spielen heute noch unsere Kinder ;-))
Manchmal wünschte ich mir nur für diese Momente einen kleinen Sprung zurück zumachen, um die Freude über Kleines wieder zu erhalten und auch unseren drei Kindern zu zeigen und zu vermitteln. Unser Großer weiß und versteht inzwischen, dass es da mal eine Zeit gab, in der Deutschland aus 2 Staaten bestand und Mauerstücke hat er auch bereits gesehen. Er und der Mittlere überlegen dann immer wie man da wohl am besten rüber gekommen wäre ohne gesehen worden zu sein…
Zum Glück ging es meiner Familie nach der Wiedervereinigung gut, keiner verlor seine Arbeit und/oder stand plötzlich vor dem Nichts, wie es bei vielen anderen der Fall war. Froh bin ich auch, dass ich noch Kind war und mich noch nicht am Schulende oder vor der Ausbildung befand. So hatte ich noch genügend Zeit, das neue Schulsystem kennenzulernen und mich für meinen weiteren Lebensweg zu orientieren.
Genau 10 Jahre nach dem 9. November 1989 hatte ich mein Abitur, reiste das erste Mal in die USA und begann zu studieren.
Heute Vormittag hat unser Mittlerer (als hätte er irgendwas im Gespür) einen Steckerperlen Untersetzer als Deutschlandfahne gebastelt 🙂
Inka von Blickgewinkelt hat zu dieser großartigen Blogparade „Wo warst du am 9. November 1989?“ aufgerufen, wo ihr noch bis heute über eure Erinnerungen erzählen könnt
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Ich bin sehr glücklich, diese Erinnerungen zu haben und bewußt die Ereignisse um den 9. November 1989 erlebt haben zu dürfen. So ist es auch ein Teil meiner Geschichte. Eine Sonntagsfreude.
